Grand Raid Cristalp 2013

24.08.13

Nach 8:38 h fuhr Tobi als 123. (41. AK) von Verbier nach Grimentz ins Ziel des Kult- Marathons in der Schweiz ein.

Kann man 5000 Höhenmeter auf einer Strecke von nur 125 km überwinden? Eigentlich nicht, außer man begibt sich an den Start des Grand Raid in Verbier. Die ersten 80 km verlaufen dabei jedoch ehrlich gesagt eher harmlos. Es sei denn man hat, wie ich, das Rennen nicht sonderlich gut vorbereitet und lässt sich von den Schweizer Bergen schon nach vier Stunden den Stecker ziehen. Bikelegende Karl Platt meinte 2012 diesbezüglich nur: „Das war ne ganz schöne Tortur. Wenn man nicht in Topform hier anreist und trotzdem versucht, um ne gute Platzierung zu fahren, dann nimmt man sich hier ganz schön das Leben.“ Ja, ganz schön das Leben nehmen, wie wahr! Wer sich selber schon einmal auf einem Marathon wiederbeleben musste, weiß, wie langsam man dann auf einmal fahren muss. Mit viel Willen und noch mehr Cola blieb ich im Rennen und stand dann nach 100 km furchtbarerweise eigentlich erst am Start der Tortur: Dem Pas de Lona. Ca. 400 Höhenmeter sind hier praktisch unfahrbar, da das Gelände viel zu steil ist und der Untergrund dem einer Strandbar gleicht. Nur, dass das Wort Strandbar vermutlich wunderschönes Wetter imaginieren lässt. Außerdem: Keine Liegestühle, keine Cocktails, aber Eis!

Foto: Etienne Bornet

Es gewitterte und graupelte auf 2800 Meter ü.M.. Wie nepalesische Sherpa wuchten die Biker in einer still fluchenden Karawane ihre Wettkampfmaschinen durch den Nebel dieser bedrohlichen Berglandschaft. So ein unwirkliches Szenario habe ich nie erlebt. Einen Kilometer bewältigte ich hier in unglaublich zeitlupenwirkenden 28 min! Ich hatte Angst und ging vorsichtig voran, immer zurückschauend, um notfalls umkehren zu können. Das Gewitter mobilisierte in mir Kräfte, die mich trotz Erschöpfung kämpfen ließen. Die Zuschauer, die hier sonst in Scharen stehen, hatten sich längst in Sicherheit gebracht, nur die tapfere Bergwacht hielt die Stellung.

 

Oben angekommen peitschte der Regen ins Gesicht und ich wusste, dass ich mich sofort in die Abfahrt stürzen musste, um nicht vollends auszukühlen. Über schlammige Almwiesen, vorbei an Schneefeldern ließ ich die Zügel meines Bike locker und gab ihm die Sporen. Meine Güte, was das Bike alles mitmacht, wenn es ums überleben geht. Dann folgte ein letzter Gegenanstieg. Jeder Donner wirkte wie ein Turbobooster in meinen Oberschenkeln und plötzlich konnte ich wieder richtig Rad fahren. Ich meine, mit richtig Tempo, wie ich es von mir kenne, aber wie ich es heute nie geschafft hatte.

Auf den folgenden 1000 Höhenmetern Abfahrt, spürte ich Meter zu Meter weniger von meinen Gliedmaßen. Es ist seltsam ohne Gefühl in den Füßen eine solch ruppige Abfahrt zu nehmen. So ruppig, dass ich bald verschwommen sah und ernsthaft befürchtete eine Gehirnerschütterung zu bekommen, auch wenn das im Nachhinein betrachtet natürlich totaler Schmarrn ist. Doch einen Presslufthammer zu halten ist vermutlich schöner. Unvorstellbar, wie sich das vor 25 Jahren für Mountainbiker mit Felgenbremse und ohne Federgabel angefühlt haben muss.

 

Doch zurück zur gegenwärtigen Kälte: Schalten konnte ich schon lange nicht mehr mit den Fingern, nur mit dem Unterarm. Das Bremsen ging nur insofern, als dass ich zumindest spürte, wann die Reifen begannen abzuschmieren. Ich hatte solchen Schiss einen Platten einzufahren, ich hätte nichts unternehmen können ohne Gespür in den Händen. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Durchgeschütteltwerdens, vorbei an verzweifelten Mitstreitern wurden die Lautsprecher im Zielbereich hörbar. Denise bekam einen Schreck wie sie mich einfahren sah. Bleich wie der Tod mit zitterndem Körper. Nach mir kamen nur noch wenige ins Ziel, denn wegen des Wetters wurde kurz nach mir keiner mehr über den Pas de Lona gelassen.

 

So sind sie, die Wurzeln des Bikesports: Rau und hart, aber auf existenzielle Weise wunderschön. Denn wie sagte Karl Platt: Den Grand Raid muss man schon zu Ende fahren und einfach die Atmosphäre spüren, wenn man den Pas de Lona hochfährt zwischen den ganzen Leuten, da kriegt man so viel Respekt von den anderen, wenn man von Verbier startet." Jeder Mountainbiker sollte sein Bike einmal über diesen Pass geschultert haben. Als Trophäe bleibt der Aufkleber auf dem Oberrohr: Ein Ritterschlag.


Tobi

 

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