Craft Bike Trans Germany 2010

02.06.10 - 05.06.10

In 14h sind wir als 214. und 215. (von 552 Profis und Amateuren unserer AK) und 800 anderen FahrerInnen von der Zugspitze zum Bodensee gefahren. Kurz aber knackig für ein Etappen-Rennen: „nur“ 280km und 7100Höhenmeter an vier Tagen.

1. Etappe: Garmisch – Lermoos (AUS) oder: Nass, nässer, Trans Germany.

Die 81km und 2100Höhenmeter bewältigten wir als 273. und 274. (von 552 unserer Altersklasse) in 4:27h.

Völlig losgelöst. Dem zähen Schlamm entgeht nur der, der springen kann.

Welchen Monat haben wir, November? Es regnet und die Wolken verbergen in ihrem Grau das Grauen unseres „Sommerurlaubes“, - den Schnee in den Bergen rund um die Zugspitze. Aber was wären wir für Mountainbiker, wenn wir nicht so tun könnten, als jucke uns dieses Mistwetter nicht im Geringsten. Außerdem investierte Chrissi neben dem physischen Training im Vorfeld einige Zeit um seine mentale Stärke auszubauen. Und plötzlich ließen sich, nach etlichen schundvollen Kilometern im Regen plötzlich Sonnenstrahlen durch die stark verdreckten Scheiben der Brille am Himmel orten. „Ha, seit 20km rede ich mir ein, es scheint die Sonne und jetzt scheint sie tatsächlich.“, ruft Chrissi von meinem Hinterrad. Nun, nach 10sek war die Sonne auch schon wieder verschwunden, als wäre sie nie da gewesen.

Wellnessurlaub an der Zugspitze, - mineralreiche Natur-Schlammgesichtsmaske

Die restlichen 4 1/2h waren eine Schlammschlacht die ihres Gleichen sucht. Der Boden war zäh und zerrte. Die High-Tech Leichtgewicht-Funktionskleider verwandelten sich in eine schweine-kalte Bleiweste. Auf Mensch und Material schichtete sich zentimeterdicker Schlamm. Die Brillen waren gefährlich verdreckt. Chrissi erkannte dadurch in einer Abfahrt nicht mehr die Höhenunterschieder zweier Fahrspuren und stützte bei über 30km/h, - zum Glück im aufgeweichten Rasen. Das einzig saubere was Chrissi an sich orten konnte, war seine Zunge. Da wir schon genug Sand im Getriebe hatten und nicht noch mehr davon im Magen brauchten erlöste ich ihn von seinen ekligen (aber notwendigen) Putzaktionen. Ich übernahm für ihn zeitweise den Brillenputzservice, - freihändig mit dem einzigen sauberen Textil an mir, dem Unterhemd.

Finisher der Tort(o)ur

Eine Passage der 74 km zog sich erbärmlich lang, ein nicht enden wollendes Tal hinauf. Mir schien eine unsichtbare Hand zöge mich permanent nach hinten. Ich zweifelte stark an meiner Form, und beim Bergabfahren zweifelten wir stark daran jemals wieder warm zu werden. Das Wasser stand in den Schuhen, die Finger wollten weder Schaltung noch Bremsen länger bedienen. Doch dann schien die Zeit der Simon Brüder zu kommen. Ein „Lenkerbeisseranstieg“ stellte sich uns in den Weg. Jippie. Auf den folgenden 600 Höhenmetern stieg nicht nur die Körperkerntemperatur, sondern auch die Zuversicht etwas reißen zu können. Wir brauchen es eben hart: Entweder steil bergauf, oder technisch bergab. Und das technische Bergab wartete mit der verschlammten Downhillabfahrt nach Lermoos auf uns. Im Slalom brezelten wir zwischen Felsen, eisglatten Wurzeln, Schlammbädern und schiebenden oder gar gestürzten Mitstreitern ins Ziel.

 

Der Wirt unserer Pension erlitt einen kleinen Herzinfarkt als er mich an seine Rezeption taumeln sah. Er schmiss mich freundlich aber bestimmt wieder raus. Er ließ uns erst über den Hintereingang hinein, nachdem wir uns gegenseitig, wie wir es sonst mit unseren Rädern oder möglicherweise Sie mit ihrem Auto tun, mit dem Dampfstrahler (!) in Kleidern draußen abgespritzt hatten. Verständlich!

2.Etappe: Lermoos (AUS) – Pfronten oder: Schwimmabzeichen für Mountainbikes.

Heute belegten wir nach 74km und 1800Höhenmetern in 3:50h den 269. und 270 Platz (von nur noch 516 AK)

Eine Horde "Amphibien-Biker"

Was würden sie für eine Tagesaktivität planen, wenn sie in einem Frühstücksraum sitzen, froh sind das die Fenster geschlossen sind, weil es sehr kalt ist. Im Radio gibt ihnen eine Stimme aufgebracht zu verstehen, dass in der ganzen Region Straßen unterspült sind, Erdrutsche und Überschwemmungen gemeldet werden. Und Sie stellen fest, dass auch aus dem Haus, in dem Sie sitzen, ein Feuerwehrschlauch in einer großen Fontäne Wasser aus dem Keller pumpt. Würden Sie dann gerne Mountainbiken? Oder gar ein Rennen fahren? Nein? Komisch! Wir wollten dies, zumindest redeten wir uns dies stoisch ein.

Dann beim Start, eine unangenehme Überraschung. Vor lauter Sand und Schmutz des Vortages ließ sich meine Jacke nicht mehr schließen. Super! Bei dem Wetter mit offener Regenjacke, das ist ja glatter Irrsinn. Aber was will man machen? Die 1200 Biker setzten sich in Bewegung. Ich musste mit. Wer schon mal hinter einem Mountainbike ohne Schutzblech im Regen hinterher gefahren ist, wird nachfühlen können, wie nass und dreckig mein Shirt in kürzester Zeit war. Aber gut, es ist ja nur für knappe 4h.

Seepferdchen, Freischwimmer, Bronze, Silber, Gold, - unsere KTM´s haben alles bestanden!

Routiniert hatte ich am Abend zuvor die Streckendaten verinnerlicht. Nun stellten wir erheitert fest, dass neben dem hohen Asphalt und Schotter Anteil die Route auch mit Bach-Passagen hätte gekennzeichnet werden müssen. Ja, heute kam das Wasser weniger von oben, umso mehr aber von unten. Wir durchfuhren Unmengen an Bächen, die den Weg kreuzten. Andere Wege hatten sich gar selbst in einen Bach verwandelt. Jedes Kind in Gummistiefeln hätte hier seine wahre Freude gehabt. Wir mussten unseren Bikes Amphibien-Kompetenzen abverlangen. Sie bestanden ihr Schwimmabzeichen!

An vielen Stellen erlaubten uns die 74km und 1800Höhenmeter unsere Bergstärken auszuspielen. Wir überholten heute viele andere Fahrer und kamen in einen Wettkampf-Flow.

Manch einer wollte beim Schwimmabzeichen einen Kopfsprung zeigen.

Leider wurden wir auf der letzten Abfahrt um die Früchte unserer Arbeit gebracht. Chrissi hatte einen Schleicher (ein winziges Loch im Schlauch, was langsam aber sicher zum Anhalten zwingt). Der Simon Brüder Bike OP operierte nach Problemen beim letzten Einsatz wieder konzentriert und schnell. Leider büßten wir aber Zeit ein und erwischten keine Gruppe mehr, die uns Windschatten auf den letzten sehr harten 10km Asphalt gegeben hätte.

Grauenvoll diese flachen Asphaltstrecken, ich war fix und fertig im Ziel. Und nicht nur das, wir waren wieder patsch nass. Nun eine kalte Dusche und einen Platz auf dem Turnhallenboden zu haben waren zwar keine rosigen Aussichten, aber hey: „Mann oder Maus?“. Wir lieben Mountainbiken, wir lieben Rennen und mit ein bisschen Sarkasmus und später einem riesigem Kartoffelsalat mit Seelachs war alles wieder palletti. Der Anblick unserer triefnassen Kleider schaffte es am Abend sogar in die Event-Zeitung „Post“:

Na, wer erkennt die triefenden Simon Brüder Trikots in der Zeitung?

3. Etappe: Pfronten – Sonthofen oder: Unser Element.

Über erneut 1800 Höhenmeter, jedoch auf lediglich 54km, fuhren wir vor auf den 223. und 224. Platz (von nur noch 509 AK) in einer Zeit von 2:54h.

Sonne! Und Sie ahnen nicht welche Magie und Euphorie dieser Umstand im Camp auslöste.

Heute warteten vier Anstiege auf uns und vier rasante Abfahrten. Ja, es sollte unser Tag werden. Die Strecke schien uns wie auf den Leib geschneidert. Die Anstiege waren so knackig, dass sie nur wenige fahren konnten. Wir zogen an vielen Schiebern vorbei.

Tierisch: Bergziegen und Packesel in der Wildschweinsule

Im knöcheltiefen Schlamm musste dann jedoch jeder sein Bike schultern. Bergab gab es kein Halten, zwar waren die Abfahrten furchtbar anspruchslos, aber auch Asphaltstraßen wollen erst einmal richtig gefahren sein. Nur wenigen Mitstreitern lag das Tempo über 70km/h, was auf dem MTB zugegebenermaßen wirklich sehr hoch ist. Man braucht eine gute Bremstechnik, Mut und muss sein Material bestens kennen. Es war herrlich, wen wir hier alles hinter uns ließen.

Am letzten Anstieg erkannte ich einige Wegstellen wieder aus dem Wintertraining. Hier waren wir beide im Weihnachtsurlaub Laufen trainieren. Außerdem kenne ich die Gegend gut aus meiner Arbeit hier. Dies erzeugte Heimspielgefühle. Ich nahm mein Herz in die Hand und drückte mächtig in die Pedale

Panta rhei

So, dass ich wusste, Chrissi kann mein Hinterrad gerade noch halten. Es war unglaublich, wir schienen nach 2h Fahrzeit erst warm geworden zu sein. Wie mit Eltektroantrieb zogen wir an über 100 Fahrern vorbei. Das war ein erhabenes und unschlagbares Gefühl. Ein Genuss. Allgäuer Bauern standen mit großen Kuhglocken am Wegrand und machten Stimmung. Zuschauer machten Laolawellen. Uns schlug der Puls im Hals und wir lächelten und grinsten. Die Welt war wunderschön hier auf der Strecke und das Panorama ein Geschenk. Die Zieleinfahrt war irre. Wir verbesserten uns von unseren Plätzen um 270 (in der Männer Wertung mit UCI – Profis) auf 223 und 224!

Im Ziel ließ uns Gabi, die wir vom Rescue-Team von der Transalp kennen, eine Massage angedeihen. Das Camp in der örtlichen Kaserne war spartanisch, wie immer. Den ganzen Nachmittag schlenderten wir nun in der Sonne und feierten unsere gelungene Etappe.

4. Etappe: Sonthofen – Bregenz oder: Straßenrennen.

Beherztes Bergauffahren und ein gute Streckenorientierung verhelfen uns zum grandiosen 96. Platz (von nur noch 488AK) nach 74km und 1300Höhenmetern in 3:02h Fahrzeit.

Beim „Soldaten Frühstück“ in der Kantine hingen wir wie zwei Waschlappen auf den Stühlen und kämpften, irgendetwas in den Magen zu bekommen. Der Grund war, dass wir die halbe Nacht auf der kalten Kasernen Toilette verbringen mussten. Die Pasta Party am Vorabend war uns überhaupt nicht bekommen.

Nach einer schlaflosen Nacht: Begeisterung sieht anders aus.

Mit hängendem Kopf saßen wir wortlos am Rand der Startaufstellung. Überhaupt in Bregenz anzukommen schien ein sehr ambitioniertes Ziel geworden zu sein. Der Magen war flau, die Sonne brannte und der Startschuss viel erbarmungslos.

Es ging ruhig und flach los. Dann sollte bald der höchste Pass Deutschlands, der Riedbergpass, folgen. Auf der Teerstraße flogen wir plötzlich an etlichen Fahrern vorbei. Was war los? Der Magen hielt und die Beine wollten routiniert ihrer schweren Arbeit nachkommen. Hätten wir da nein sagen können? Nein! Die Übelkeit schien wie weggeblasen und als hätten nur wir Rückenwind pedalierten wir an sauren Körpern vorbei.

Zur folgenden Streckenbeschaffenheit gibt es folgendes zu sagen. Meine kluge GPS-Uhr legt in Kürze automatisch nach jedem Start fest, welcher Aktivität ich im Moment nachgehe: Schwimmen, Laufen, Lauf-Wettkampf, Querfeldein, Rennrad, Mountainbike etc. Heute wollte sich meine Uhr nicht von mir überzeugen lassen, dass ich auf dem MTB sitze. „Rennradrennen“, meinte sie eigenwillig und überzeugt.

Rar gesät, die Trails.

Recht hatte sie. Jenseits des Passes fuhren wir wie bei der Tour de France mit über 50 anderen Fahrern im Peloton bei 50km/h über gesperrte Straßen. Es war sau gefährlich hier. Wenige schienen das kleine Einmaleins im Fahren in der Gruppe zu beherrschen. Einige waren sogar so hektisch, dass sie bei über 50 Sachen ohne Schulterblick zur Seite ausscherten oder hirnlos beim Bremsen das Hinterrad blockierten. Ich wusste nicht was mir im Zweifelsfall lieber wäre, dachte ich im am Rand des Feldes fahrend: Der Stacheldrahtzaun rechts, oder ein Massensturz links. Panik!

Dann verengte sich gottlob der Weg wieder nach einer Verpflegungsstation, an der wir routiniert tankten. Wir preschten wie an einer Perlenkette aufgezogen eine stillgelegte Bahnlinie am Fluss entlang. Eine breite betonierte Brücke, die wir nun im Höllentempo überquerten erschien mir seltsam. Es folgte ein Anstieg, den ich als Trail und nicht als Asphalt in Erinnerung hatte. Aber was soll man über sowas nachdenken?

Dann ein Schreck, plötzlich kamen mir Biker mit Startnummern unseres Rennens entgegen. Blitzschnell reagierten wir, bremsten und drehten um. Zurück an der alten Bahnlinie herrschte ein wildes Durcheinander. Hunderte Fahrer wussten nicht wo es lang gehen sollte, auch die Kameramänner auf ihren Motorcrossrädern wirkten ratlos. Ein Fahrer mit Navigation am Lenker bestätigte meine Intuition und mein Studium der Streckenführung heute. Chrissi schoss los. Wir drängelten uns durch die uneinigen Mitstreiter in die erhoffte richtige Richtung.

Die sehr stark schwankende und instabil wirkende Hänge-Brücke gab mir dann Gewissheit. Wir waren wieder auf dem richtigen Weg, diese abenteuerliche Flussüberquerung war angekündigt worden.

Was nun folgte war Hammer geil. Trails! Eine Rarität bei dieser Trans Germany. Und wir waren durch unseren beherzten Antritt am ersten Pass und das große Verfahr-Chaos sehr weit vorne im Feld. Unter technisch gleich begabten kletterten wir über Stufen, ließen uns von Wurzeln durchschütteln und schlängelten uns flink um Hindernisse. Keiner der Top-Fahrer überholte uns hier, was ein herrlicher Verdienst und Bestätigung unserer positiven Selbsteinschätzung bei technischen Passagen.
Dejavu der Transalp.

Zum Schluss ging es am Fluss entlang durch Bregenz. Wir sammelten einige weitere Fahrer ein, die sich in unseren Windschatten klemmten. Wieder war keiner zu finden, der den Belgischen Zirkel auch nur ansatzweise beherrschte. Schade. Aber egal, ich dachte mir, das schaffen wir auch von vorne aus im Wind. Chrissi dachte das gleiche. So zogen wir unsere Gruppe bis zu Bregenzer Seebühne und traten abrupt zum Zielsprint an. Es wollte und konnte keiner mehr folgen. Ha! So sehen Sieger aus, schalalalala! Es ist ein unglaubliches Hochgefühl so ins Ziel zu fahren, glauben Sie mir.

Gudrun und Alfons erwarteten uns unter hunderten anderen Zuschauern. Heute gab es übrigens kein Camp, nein. Im obersten Stockwerk eines 4-Sterne Hotels hörten wir, bei offener Terrassentür mit Blick auf das schwäbische Meer, unter der warmen Dusche die Zielankünfte unserer Verfolger. Entpannung pur!

Am Abend zeugten nur noch die Tüten voller schlammiger Klamotten von unserem Abenteuerbeginn. Alles andere glich einem zauberhaften Sommerurlaub!

Vielen herzlichen Dank an die vielen wundervollen Menschen, die uns so großartig unterstützt und an uns gedacht haben!

 

 

 

 

Bilder by Sportograph + Peter Musch + eigene Bilder